Gedichtinterpretation: Gottfried Keller – Waldlied (Notizen, E-Mail)

On Tue, 2 Aug 2005 18:58:24 +0200 (CEST)
xxx@gmx.ch wrote:

> Hallo Dirk
> Vielen Dank für diese Seite, ich hab Ende August mündliches Abi über
> Gedichte, und ich bin eine völlige null darin. zwei davon hast du zum
> glück hier interpretiert! Jetzt hab ich gelesen, dass du Gedichte
> interpretieren möchtest, von denen es keine (guten) interpretation im
> Internet gibt. Ich hätte da eines, bei dem ich nicht weiter komme und
> auch keine hilfe finden kann: waldlied von gottfried keller ich wäre
> dir unendlich dankbar wenn du zeit und lust hättest in den nächsten
> drei wochen diese gedicht zu interpretiern. Das wäre wirklich genial.
> Tausend Dank schon im Voraus, und falls du keine Zeit/Lust haben
> solltest, bin ich dir trotzdem dankbar für diese Seite.
> Herzliche Grüsse xxx
>
> Anbei noch das Gedicht „Waldlied“
>
> Arm in Arm und Kron’ an Krone steht der Eichenwald verschlungen,
> heut hat er bei guter Laune mir sein altes Lied gesungen.
> Fern am Rande fing ein junges Bäumchen an sich sacht zu wiegen,
> und dann ging es immer weiter an ein Sausen, an ein Biegen;
> kam es her in mächt’gem Zuge, schwoll es an zu breiten Wogen,
> hoch sich durch die Wipfel wälzend kam die Sturmesflut gezogen.
> Und nun sang und pfiff es graulich in den Kronen, in den Lüften,
> und dazwischen knarrt’ und dröhnt’ es unten in den Wurzelgrüften.
> Manchmal schwang die höchste Eiche gellend ihren Schaft alleine,
> donnernder erscholl nur immer drauf der Chor vom ganzen Haine!
> Einer wilden Meeresbrandung hat das schöne Spiel geglichen;
> alles Laub war, weisslich schimmernd, nach Nordosten hin gestrichen.
> Also streicht die alte Geige Pan der Alte laut und leise,
> unterrichtend seine Wälder in der alten Weltenweise.
> In den sieben Tönen schweift er unerschöpflich auf und nieder,
> in den sieben alten Tönen, die umfassen alle Lieder.
> Und es lauschen still die jungen Dichter und die jungen Finken,
> kauernd in den dunklen Büschen sie die Melodien trinken.

Hallo,

das Gedicht „Waldlied“ ist wohl eine Hommage an den Wald. Das lyrische
Ich sieht in dem Wald eine Art Orchester und empfindet die Klänge, die
der Wald durch den Wind erzeugt, als ästhetisch.

Das ganze scheint auch ein wenig so wie der Ablauf eines Orchesters
aufgebaut zu sein. Die Instrumente setzen in einem Orchester nach und
nach ein und so tun es die Bäume, die für die jeweilige
Geräuschkulisse sorgen, auch. Zunächst fängt ein einzelnes Bäumchen mit
dem Konzert an. Vielleicht soll der Leser das sachte Wiegen des Baumes
mit der typischen Handbewegung eines Streichers assoziieren, keine
Ahnung.
Und dann geht es halt so weiter. Die anderen Bäume starten dann ihren
klangvollen Einstieg. Die „höchste Eiche“ spielt dann eine Art Solo,
worauf dann der satte Klang des Chors erwidert wird.

Am Ende wird es etwas undeutlich für mich. Ich bin mir recht sicher,
dass mit „Pan“ der Gott der griechischen Mythologie gemeint ist [1].
Pan ist ein Wald-, Wiesen- und Hirtengott und hat eine siebenröhrige
Pan-Flöte, das würde auch sehr gut zu den beiden Vers „In den sieben
alten Tönen schweift er unerschöpflich und nieder, in den sieben alten
Tönen die umfassen alle Lieder“ passen. Hier wäre es wohl angebracht,
sich nochmal weiter mit diesem Gott auseinander zu setzen.
Dadurch, dass Keller den Gott Pan ins Spiel bringt, hat das Gedicht
natürlich eine ausgeprägte pantheistische [2] Seite.

Ganz am Schluss wird halt nochmal herausgestellt, dass sich Mensch und
Tier an den Klängen des Waldes so sehr erfreuen, dass Keller dazu die
Metapher und Synästhesie „trinken“ gewählt hat, um es hervorzuheben.

Hast du schon mal bei
http://www.spicken.de/ksl/cgi-bin/disp.pl?files/matur/listen/d_gedichte.dat&default&ksl417671 [1]
vorbeigeschaut und dein Anliegen nahe gebracht? Vielleicht stellen sie
ihre Gedichtinterpretation von „Waldlied“ für dich zur Verfügung.

Von „Waldlied“ gibt es übrigens auch eine Vertonung von Othmar Schoeck
(ich glaube sogar als klassisches Konzert, sehr passend zum Inhalt) und
eine Vorlesung.

Mal in die Biografie von Gottfried Keller zu schauen, könnte auch nicht
schaden.


MfG
Dirk

[1] http://de.wikipedia.org/wiki/Pan_%28Mythologie%29 [2]
[2] http://de.wikipedia.org/wiki/Pantheismus [3]



Weblinks:
[1] http://www.spicken.de/ksl/cgi-bin/disp.pl?files/matur/listen/d_gedichte.dat&default&ksl417671
[2] http://de.wikipedia.org/wiki/Pan_%28Mythologie%29
[3] http://de.wikipedia.org/wiki/Pantheismus