Helmut Gipper - Gibt es ein sprachliches Relativitätsprinzip?

Der sprachwissenschaftliche Text mit dem Titel "Gibt es ein sprachliches Relativitätsprinzip?" (1972) von Helmut Gipper bezieht sich auf Whorfs "linguistische[s] Relativitätsprinzip" und behandelt folglich den Einfluss der Sprache auf unser Denken und die Wirklichkeit. Der Text zerfällt gedanklich in zwei Teile. Im ersten Teil (Z.1-20) setzt sich Gipper mit der in der Überschrift formulierten Frage auseinander, während er sich im zweiten Teil (ab Z.21) mit den Auswirkungen des Relativitätsprinzips auf das Zusammenleben in den einzelnen Gesellschaften und auf der ganzen Welt auseinandersetzt. Gipper formuliert einleitend zwei Thesen: Zum Einen, dass das Denken nur in den Strukturen der Muttersprache möglich ist ("Das Denken jedes Menschen ist insofern ´relativ´ zu den Ausdrucksmöglichkeiten der verfügbaren Sprachsysteme […] sich diesen gegebenen Bedingungen fügt" Z.1-3) und zum Anderen, dass selbst das wissenschaftliche Denken ("Abstraktes Denken auf höheren Stufen" Z.3f.) nicht völlig auf Sprache verzichten kann ("ohne deshalb jedoch völlig sprachunabhängig zu werden" Z.4f.).
Gipper erklärt, dass Verständigung jedoch nur auf der Basis der
Allgemeinsprache möglich ist (Z.6-8). Ausgehend von diesem Gedankengang

erläutert er den von Whorf benutzten Begriff "Relativität" (Z.9), der soviel bedeutet wie " ´in einer bestimmten Beziehung´ stehen" (Z.9). Die Begriffe " ´Relativität´ und ´relativ´" (Z.10) bezeichnet er als "wertneutrale Beziehungsbegriffe" (Z.10f.). Dem sellt er den Begriff "Relativismus" (Z.12) gegenüber, welcher nicht wertneutral, sondern abwertend ("pejorativ" Z.11) ist. Dieser Ausdruck sei durch Vorbelastung in dem Zusammenhang mit dem Relativitätsprinzip "tunlichst zu vermeiden" (Z.12f.). Weiter erläutert Gipper, dass das Denken sich mithilfe von vielen "Sprachen objektiviert" (Z.14), jedoch immer weiter über Sprachen hinausgehen kann ("so heißt dies aber nicht, daß es [das Denken] damit geistig determiniert wäre." Z.15). Den von ihm schon im vorigen Satz verwendeten Begriff "Determinismus" (Z.16) grenzt er stark von dem der " ´Relativität´" (Z.15) ab und sagt, dass diese nicht dasselbe bedeuten. Er ergänzt, dass die Sprache endlich ist ("endlichen Mitteln der
Sprachen" Z.16f.), der menschliche Geist jedoch "einen unendlichen Gebrauch" (Z.17) davon machen kann, dass der Geist also den sprachlichen Mitteln überlegen ist. Weiter schränkt er ein, dass das Denken zwar frei und sprachunabhängig sei, jedoch der sprachliche Ausdruck an die Sprache gebunden sei. somit "nie[…] völlige Unabhängigkeit und Absolutheit erreichen" (Z.18f.) könne. Es folgt eine Antwort auf den Titel, indem er alle Vorangegangenen Einschränkungen und Erweiterungen seinerseits als sprachliches Relativitätsprinzip bezeichnet ("In diesem eingeschränkten und modifizierten Sinne darf von einem sprachlichen Relativitätsprinzip gesprochen werden." Z.19f.). Mit dieser Antwort schließt der erste Teil des Textes und Gipper sagt über das Relativitätsprinzip, dass es "keine unüberwindlichen Schranken zwischen zwischen den menschlichen Gesellschaften auf[reißt]" (Z.21f.), solange diese Menschen sich untereinander verstehen wollen und dazu noch im friedlichen Sinne ("die
nach Verständigung streben und in einer Welt des Friedens leben wollen" Z.22f.). Seiner Meinung nach macht das Relativitätsprinzip uns erst darauf aufmerksam ("Es macht vielmehr darauf aufmerksam" Z.23), dass man sich erst verstehen kann, wenn "die Bedingungen der Möglichkeit" (Z.24) erkannt sind, also sich zum Beispiel ein englischsprachiger und ein deutschsprachiger darüber bewusst sind, dass "tree" und "Baum" dasselbe meinen. Dazu gehöre die Einsicht in die jeweiligen sprachlichen Vorraussetzungen jedes Verstehens (Z.24). Gipper gibt als Beispiel dazu Einstein. Seine Einsichten habe die Physik erst ermöglicht anstatt sie außer Kraft zu setzen oder ähnliches. Dieses Beispiel bezieht er anschließend auf die Sprache. So könne diese zu "eine[r] bessere[n] Selbsterkenntnis und dauerhafter Verständigung" (Z.30) führen, wenn man die "Rolle der Sprachen" (Z.28) berücksichtige und diese in die eigenen "Denk- und Erkenntnisprozeß[e]" (Z.29) einbezieht. Erst die Erkenntnis könne
die Erkenntnisprobleme die die Menschen sehen, lösen. Zu der Erkenntnis gehört, dass "die Menschen erkennen, inwiefern sie verschieden sind" (Z.31), dass sie wissen, "daß es viele gleichberechtigte ´subjektive´ Wege zu einer ´objektiven´ Wahrheit gibt" (Z.32f.) und dass "die Sprachen unentbehrliche Leitern" (Z.33) zu dieser Erkenntnis sind.
Gipper schränkt für sich das sprachliche Relativitätsprinzip in, jedoch betont er mehr dessen Auswirkungen auf unser Leben und die Gesellschaften auf der ganzen Welt. Es wird auch deutlich, dass ihm diese Auswirkungen sehr viel wichtiger sind und er den Lesern eine Art Anleitung geben will, wie man Existenzprobleme vor denen man sich sieht, lösen kann.